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Der Roman erschien 1982 im Ullstein Verlag.
Fritz Rumler schrieb dazu im SPIEGEL 5/82:
Grüne Schnäbel
Ein Literatur-Neuling ironisiert die Alternativ-Szene:
Mit seinem Roman »Papa Faust« will Uwe Wolff den »Exodus der Heiterkeit« aufhalten.
"Und wirklich ist, rarer Fall, der »Papa Faust« ein frappierender Intelligenz-Trip ins Heitere. Ein Sprachkomödiant setzt sich ab von den grauen Kolonnen der schreibenden Ego-Schmocks und der Neuen Weinerlichkeit; der Zeit schaut er dennoch scharf ins Auge. Unter dem Tarnwort »Idylle aus deutschen Landen« nämlich bringt Wolff ziemlich alles zu - kunstvoller - Sprache, was so im Augenblick die Szene bunt macht: Grüne, Feministinnen, Punker, Öko-, Bio- und Psycho-Freaks - das antibürgerliche Heldenleben. Der junge Wolff schreibt dabei nicht mit Ideologiesäure, vielmehr mit der Gelassenheit eines alten Meisters. Er habe, sagt er, seine »erzählerische Kraft an Thomas Mann geschult«, und er wolle etwas gegen all das setzen, »was in meiner Generation geschrieben wird«.
(...)
Die Suche nach einer Idylle, einer Höhle - Leitmotiv des »Papa Faust« - nimmt er für sich und andere ernst. Es sei ein »elementares Bedürfnis«, Geborgenheit, eine überschaubare Welt zu wollen; Aussteigen, alternativen Grünkohl pflanzen freilich hält das SPD-Mitglied Wolff für »Quatsch«.
(...)
Bei seinem Besuch in Münster hatte der alte Ahlrich noch mehr von seinem Adepten geschwärmt: »Er wird wie die Sonne am Morgen aufsteigen.« Der »Papa Faust«, sagt Wolff, sei nur das erste Bruchstück eines Romans, der sich zum Dom einer Balzacschen »Comedie humaine« wölben soll."
Uwe Wolff: »Papa Faust«. Rogner’s Edition bei Ullstein; 148 Seiten; 13,80 Mark.
*
"Ein farbenprächtiger Bilderbogen aus Wendland und Wilstermarsch,
Geschichten von Bewohnern des flachen Landes,
die auch von den steifsten Brisen des Zeitgeistes nicht umgehauen werden.
Ein Buch voller Sprachlust und Lustigkeit.
Allen Alternativlern empfohlen,
die mal über sich selber lachen wollen."
Jürgen Seeger im Bayerischen Rundfunk
*
"Im 'Papa Faust', dem ersten Roman des Münsteraner Autors Uwe Wolff,
ist das Erzählen wieder zu sich selbst gekommen.
Hier hat sich einer quergelegt zu den gängigen Mustern und
gleich noch mal quer zu den Erwartungen,
die man an einen hegen mag,
der 28 Jahre alt ist.
Uwe Wolff schreibt wie ein Alter,
bisweilen wie in Uralter und manchmal so wie Diderot."
Michael Bengel im Kölner Stadt-Anzeiger vom 2. Juli 1982
*
„Der junge Mann gefällt mir sehr. Jung ist er wirklich, Jahrgang 1955.
Uwe Wolff, ein so gelehrter wie verspielter Knabe,
macht allerhand nach, zum Beispiel den beschaulichen Erzähler aus dem vorigen und vorvorigen Jahrhundert.“
Christa Rotzoll, Ehefrau von Sebastian Haffner, in „Cosmopolitan“ (4/1982)
*
Die Malerin Gisela Röhn schrieb mir am 2. März 1982:
„Ein dichterischer Zeitspiegel von träumerischer Kraft. Ahnen Sie, was mir am besten gefallen hat? Die Wolke mit ihrem jungen Vater und die Hunde, die wilden. Das Buch scheint heiter, aber der Hintergrund ist beängstigend, so sehr zum Schütteln, daß man die Hoffnung nur auf die kleine Wolke placieren möchte. Sehen Sie, lieber Uwe Wolff, ich meinte vor einem halben Jahr, dass Sie erst einmal ‚leben’ sollten. Wie konnte ich nur so etwas schreiben! Nun weiß ich, daß Sie wirklich ein Dichter sind, der gar nicht zu leben nötig hat; er ist sowieso mit allen Wassern gewaschen. Nehmen Sie’s gern so doppelsinnig, wie ich diesen letzten Satz auch auf mich reimen könnte. Man bewegt sich in Worten, man handelt und man verwandelt sich in Worten. D.h. bei mir sind es eigentlich mehr Bilder.“
https://www.spiegel.de/kultur/gruene-schnaebel-a-c6e09e16-0002-0001-0000-000014344899
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Der Roman sollte im Ullstein Verlag erscheinen.
Die Verträge standen kurz vor der Unterzeichnung.
Beim Klagenfurter Wettbewerb um den Bachmannpreis 1982
trug ich ein Kapitel aus dem Roman vor.
Da sagte man mir, mit Springer könne ein kritischer Autor nicht kooperieren.
Ich folgte einer Empfehlung meines Mentors
Hans Wollschläger (1935-2007)
„Aber haben Sie sich das mit Klagenfurt auch genau überlegt? Das ist ein ekelhaftes Zeremoniell dort, und je besser Sie sind, desto geringer ist Ihre Aussicht, bei den Plunderköpfen zu reüssieren. Ich habe Ihretwegen an meinen Verleger Gerd Haffmans geschrieben und ihm kurz und bündig geraten, Sie so rasch wie möglich ab – und anzuwerben für seinen Verlag, mit dem er im Herbst startet -: Sie wären da bestens aufgehoben, und Haffmans (bisher Cheflektor und Verlagsdirektor bei Diogenes) wird sicher ein glänzendes Verlagsunternehmen auf die Beine stellen. Überlegen Sie sich das bitte gut :- ich geb gern genauere Auskünfte.
Und Ihre Sorgen! Mein Lieber, Sie können so viel, dass einem schwindelig werden kann, und das Wunderliche daran ist, dass Sie es offenbar gar nicht wissen. Machen Sie sich nur gar keine Gedanken wegen der ‚Marionetten’: - ich glaube, das empfindet jeder Autor so. Ihre Gestalten haben ‚Leben’, soviel nur reingeht, und jeder Auftritt macht Pläsier. Nochmals: der PAPA FAUST ist ein funkelndes Stück ironischer Welterzählung; das kann außer Ihnen heute keiner, - ich weiß, was ich sage.
Viel Zuversicht wünscht Ihnen Ihr Sie herzlich grüssender
Hans Wollschläger“
(Brief vom 31. März 1982 zitiert mit Erlaubnis von Gabriele Wolff).
****

****
1984,
vor 40 Jahren,
erschien der Roman über die Deutschen im Zürcher Haffmans Verlag.
Das Magazin "Der Rabe" brachte einen Vorabdruck des Kapitels "Wandern und Schauen".
Jörg Drews nannte es in der ZEIT vom 10. Juni 1983 etwas salopp
"ein herrlich schwüles, jugendstilig-wandervögeliges Kapitel
aus Uwe Wolffs kommenden Roman 'Der Ewige Deutsche'."
*
Zwei Leitworte gab ich dem Roman bei:
„Überall bei unseren Nachbarn und auch jenseits des Ozeans
fragt man sich sich bangen Herzens:
Was ist mit den Deutschen los?
Wohin treibt es sie?
Wie wird das enden?“
Marion Gräfin Dönhoff
Ein Mann der Zukunft
(Über Richard von Weizsäcker)
In: „Die Zeit“ vom 2. Dezember 1983
*
„Eine neue Romantik wird kommen: die Romantik der Rasse. Sie wird das reine Nordlandsblut verherrlichen und neue Begriffe von Tugend und Laster schaffen. Den Zug des Materialismus wird diese Romantik eine Weile hemmen. Dann wird sie vergehen, weil die Welt neben der blonden Gesinnung des schwarzen Geistes bedarf und weil das Dämonische sein Recht will. Aber die Spuren dieser letzten Romantik werden niemals schwinden.“
Walther Rathenau. Reflexionen 1912
*
Heute lese ich:
„Die deutschen Selbstzweifel sind alt, sie reichen viel weiter zurück als der Holocaust, der sie allerdings noch verstärkt hat. Thomas Mann hat über den «Selbstekel» der Deutschen geschrieben und über ein Land, das sich als «das Land des Hässlichen» fühle. Ein solch radikaler Selbsthass ist unter den Völkern ziemlich einzigartig. Friedrich Nietzsche hat ihn zum eigentlichen deutschen Wesenskern erklärt: «Gut deutsch sein heisst sich entdeutschen.»
Die Kehrseite dieser verdrucksten Existenz ist die pathologische Selbstüberhöhung, mit der die Deutschen auch ihre verheerenden Erfahrungen gesammelt haben. Die Nation schwankt zwischen den Polen hin und her, wobei derzeit die Selbstscham ausgeprägter ist. Dies auch im Sog einer westlichen Kultur, die generell mit ihrer Geschichte, insbesondere mit dem Kolonialismus, hadert.“
Benedikt Neff (NZZ vom 22. März 2024)
*
Inhaltsverzeichnis
I. Aus den guten alten Zeiten
II. In Pustkuchens Welt
III. Sophie auf dem Turm
IV. Wandern und Schauen
V. Blaues Blümelein
VI. Zeitgenossen
VII. Flamme empor!
VIII. Hochzeit in Maienfeld
IX. Ahlrichs gar nicht wunderliche Wundersäule
X. Finn, der Zwergenbändiger
XI. Zu neuen Ufern!
XII. Wald und Wüste
XIII. Helmut träumt
XIV. Bluten für Deutschland
XV. Das Ende vom Anfang
*
Heute lese ich:
„Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt:
Dieser manisch-depressive Zug lässt sich wieder einmal beobachten.“
Eric Gujer. Die Deutschen machen einem Angst. NZZ vom 03.02.2024
*
Aus den damaligen Besprechungen:
"Wir haben es mit einer romanesken Parabel über die jüngere Geschichte der Deutschen zu tun (...).
Der Hersteller dieses in der Art einer Collage und des Mosaiks gestalteten historischen Abrisses
kennt sich aus in der Sozialgeschichte, im Rilke-Kult, in der Wandervogel-Bewegung,
in den Männerbünden, deren verworrene Vorstellungen schliesslich
ins nationalsozialistische Unwesen mündeten. (...)
'Die Geschichte aus jugendbewegten Zeiten',
die er jetzt vorlegt, ist der Versuch einer Antwort auf die Frage,
was denn eigentlich mit den Deutschen los sei."
Anton Krättli in der NZZ vom 24. Januar 1985
*

Umschlag- und Titelzeichnung von F.W. Bernstein (1938-2018)
*
"Jean Pauls Gleichnis von den Zwillingsbrüdern (in seinen 'Flegeljahren')
inspirierte Wolff für sein 3. Buch zu einer neuerlichen politisch-philosophischen Parabel:
Das Deutschland vor 1914, in der 1. Zivilisationskrise infolge der Industrialisierung,
zerfällt in übersteigerte, sich alsbald mythologisch und antisemitisch
gebärdende Innerlichkeit und in praktische, am intakten, überschaubaren Landleben
gesundgebliebene Vernunft. Beeindruckend mit welcher Sprachvirtuosität,
mit welchem Kenntnisreichtum und überbordendem Zitatenschatz Wolff
sein vielschichtiges, ebenso sinnreich wie humrig stilisiertes Gemälde entrollt,
ein fulminantes Feuerwerk von Sprachartistik, in verbalen Anachronismen schwelgend,
und von gebildeten Anleihen."
Einkaufszentrale für öffentliche Bibliotheken März 1985
*
„Wenig zeitgenössische Autoren sind heute noch, wie Uwe Wolff, so mutig (in Jean Pauls Sinne:) humoristisch zu schreiben. Soll heißen: die Gebrochenheit (auch sprachlicher) Erfahrung zu übersetzen ins Lachen. Hier freilich zumeist ins böse Lachen. Und dies in einem durchgehenden Ton des Als-Ob, der provozierend wirkt auf alle, die von einem Text eine Deckungsgleichheit von Sinn und Ausdruck erwarten. Die einen Leser werden begeistert sein, die anderen gänzlich genervt von einem zweihundertseitigen umständlichsten Kanzleideutsch, das in erlesener Gespreiztheit der Wortwahl und in altfränkischer Gewundenheit der Syntax sich ergeht. Vielleicht hätte Thomas Mann so mit 85 geschrieben.
Dieses Risiko sollte der Ullstein Verlag getrost auf sich nehmen. Denn kein Text, der nicht alles wagt, hat heute noch Wert und Sinn, vielleicht Bestand. Und an Uwe Wolff werden sich die Geister scheiden.
Der Bogen spannt sich von Rilke/George über Wandervogel und Rosenberg bis zu Chamberlain und Hitler, so dass es mitunter scheint, als seien hier Thomas Mann und Arno Schmidt wie durch Zauberschlag zur Deckung gebracht worden.“
Meine Lektorin Hanna Siehr (Ullstein) im Jahr 1983
*
"Wolffs Lieblingsautoren sind leicht ausfindig zu machen -
neben Thomas Mann sind es der literarisch überfrachtete Arno Schmidt
sowie der romantisch verspielte Jean Paul.
Wolff erweist erneut seine Begabung für die Satire,
die neben intelligent verklausulierten ironischen Attacken auf das,
was man gemeinhin unter bürgerlichem Bildungsgut versteht,
auch Kalauer nicht verschmäht.
In seinem Buch zeichnet er unter der Verwendung treffender Seitenhiebe
auf den Germanenkult parodistisch den Weg der Bündischen Jugend
bis zum Verhängnis des Ersten Weltkriegs und der Zeit unmittelbar darauf nach.
In der Rückschau wird diese vielfach verschlungene Entwicklung
von Gobineau, dessen Rassentheorie die Hirne verkleisterte,
über die mißverstandenen Wagner und Nietzsche und Julius Langbehns Rembrandtdeutschen
bis hin zu Rosenberg und deutlich deutlich."
Jan Herchenröder. Lübecker Nachrichten vom 20. Januar 1985
*
„Der 1955 geborene Autor Uwe Wolff schreibt eine Sprache,
die sich auf den Begriff ‚Neue Kostbarkeit’ bringen ließe.
Verglichen mit ihm sind selbst Peter Handke und Botho Strauß bettelarme Schreibbrüder.“
Niels Höpfner in der Wiener Zeitung „Die Presse“ vom 9. Februar 1985
*
"Sehr lesenswerte neue Prosa eines Unzeitgemäßen.
(...)
Man darf ja nicht übersehen, daß Wolff seine Archaismen immer wieder durchbricht:
mit Modernismen, Grobianismen, stilistischen Irritationen,
so daß die Decke des preziös Gewählten einbricht und durch solche Gegenwartsspalten &
Zukunftsritzen das Licht der Aktualität auf die,
poetisch noch immer unzulänglich erhellte, Urgeschichte des Faschismus fällt."
Wolfgang Schlüter in KULTuhr 11/1985
*
Die neue Rechte:
"In dem Roman „Der ewige Deutsche“ (vgl. Wolff 1984) lässt Uwe Wolff zwei seiner Protagonisten am Vorabend des deutschen Nationalsozialismus einen Dialog führen über den Charakter der neuen Hitler-Bewegung: Der eine, ein Lehrer namens Jesko, wirbt darin für Toleranz gegenüber den überwiegend jungen Akteuren, denn diese müssten sich als nachfolgende Generation naturgemäß ihre Hörner an den Werten der alten Gesellschaft abstoßen, seien aber als politische Gefahr nicht ernst zu nehmen. Der andere Gesprächspartner, der Heidebauer Ahlrich, ist skeptisch, er hält die stürmische nationale Erneuerung für äußerst problematisch und warnt vor einem schlimmen Ende. Jesko entgegnet ihm darauf hin: „Ahlrich, du dramatisierst! Lass' doch der Jugend ihren Lauf.“ (Wolff 1984, S. 117) Nun, wir als Leser des beginnenden 21. Jahrhunderts wissen natürlich, wer von den beiden Romanfiguren zuletzt Recht behält, denn der Verlauf der deutschen Geschichte hat mehr als deutlich gemacht, dass die Kausalkette „Jung – rechts – unpolitisch“ im Hinblick auf den historischen Rechtsextremismus eindeutig nicht stimmig gewesen ist. Bezogen auf aktuelle rechtspolitische Phänomene erlebt diese jugendsoziologisch unterlegte Formel jedoch besonders seit der Wiedervereinigung in Deutschland eine allgemeine Renaissance, vor allem, wenn es dabei um Rechte Gewalt geht. Innerhalb der Ursachenforschung scheint ein Konsens darüber zu bestehen, dass es sich bei rechtsmotivierten Tätern hauptsächlich um desorientierte Jugendliche handelt, welche diese Form der Gewalt allein deshalb anwenden, weil sie dadurch Probleme kompensieren, deren Ursachen in den gesellschaftlichen Bedingungen des Aufwachsens wurzeln.
Stefan Dierbach. Jung - rechts - unpolitisch? Transcript Verlag 2010 (Vorwort).
*

1984 wurde meine Tochter Hannah geboren.
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Erhebe Dich,
auch wenn es ein Finn-Juhl-Stuhl ist!

Am Leuchtturm hoch über der Nordsee lässt sich gut grasen.

Hier entstand mein Buch über das Hygge-Lebensgefühl
oder
die dänische Methode mehr Resilienz zu erwerben.

Inhaltsverzeichnis
Café Hygge:
Endlich wieder durchatmen!
Tante Marthas Wundermuschel:
Geborgenheit
Oma Stomberg:
Sich sammeln
Harte Schale, weicher Kern:
Die nackte Wahrheit
Innigkeit:
Vom verborgenen Reichtum
Zur kleinen Meerjungfrau:
Vom Staunen
Die Ohrmuschel
Vom inneren Hören
Kleine weiße Muschel:
Von der Schlichtheit
Im Wechsel der Gezeiten:
Von der Standhaftigkeit
Innerer Reichtum wächst im Verborgenen:
Von der Perle
Sandkörner:
Schmerzen in Perlen verwandeln
Tränen Gottes:
Verwandlung braucht Schutzräume
Im Meer der Seele:
Ein mystischer Grenzgang
Auf dem Flohmarkt:
Von der Entscheidung
Meerjungfrauen:
Von der Liebe
Das Lied von der Seele:
Erinnerung
Beflügelt:
Vom Wunder der Begegnung
Schiffbruch mit Zuschauern:
Möwen über dem Meer
Möwenpredigt:
Über den Schmerz
Flüchtlingskinder:
Lager Oksbøl
Vater und Mutter:
Vom Geheimnis
Meister der Versenkung:
Kontemplation
Muschel in meiner Hand:
Vom Symbol
Beseeltes Leben:
Von den Tieren
Geburtstag am Meer:
Wer ist diese Schwimmerin?

Café Hygge:
Endlich wieder durchatmen!
„Weit draußen im Meere
ist das Wasser so blau
wie die Blütenblätter
der schönsten Kornblume“
Hans Christian Andersen.
Die kleine Meerjungfrau
Endlich wieder am Meer! Muscheln, Möwen, Meerjungfrauen: Es ist einfach herrlich, unter offenem Himmel im Garten des kleinen Cafés zu sitzen. In der Vase stehen Blumen und Gräser der Feldraine. Meine Kleidung ist leicht. Arme, Beine und Gesicht haben schon die frische Farbe der See bekommen. Ich schaue auf das Meer. Frei ist der Horizont. Ein Schwarm Möwen verliert sich in der Weite. Ich atme durch.
Undine kommt und schreibt mit blauer Kreide das aktuelle Angebot auf eine alte Schultafel. Hier an der Steilküste mit dem roten Leuchtturm gibt es einfache Kost. Ich mag Muscheln in Basilikumsoße, garniert mit Kirschtomaten und als Beilage Knoblauchbrot, dazu ein Glas gekühlten Muscadet. Doch köstlicher ist Undines marinierter Hering mit Naturjoghurt und Pellkartoffeln.
Nach dem Mahl döse ich gemütlich in einem Liegestuhl. Jetzt den salzigen Duft des Meeres einatmen und mit den Augen über die Wellen gleiten: La Mer, die große Mutter des Lebens. In der Ferne zieht ein weißes Schiff vorbei. Am Strand tummeln sich kleine Mädchen in den Wellen. Sie spielen mit einer Meerjungfrau und einem Seepferdchen. Die Jungen bauen Sandburgen und verzieren sie mit Muscheln.
Entspannung. Später eine Wanderung am Meer. Sanft umspielen die letzten Ausläufer der Brandung meine Füße. Endlich wieder am Meer! Mit der Armbanduhr habe ich alles abgelegt, was mir den Blick auf das Wesentliche verstellt. Ich habe keine Termine und Verpflichtungen mehr. Niemand treibt mich. Niemand erwartet etwas von mir. Vor lauter Ruhe werde ich unruhig.
Langsam erlerne die Kunst des Müßigganges. Ich möchte offen werden für das einfache Leben und das Glück der kleinen Dinge: Geschenke des Meeres, Muscheln am Strand. Ich hebe sie auf. Ich betrachte sie und staune: Wie wunderbar und vielfältig sind ihre Formen. Keine gleicht der anderen! Während ich mich nach weiteren Muscheln bücke, öffnet sich das Meer meiner Seele. Das Kind in mir erwacht. Erinnerungen an erste Ferien auf Wangerooge und Borkum steigen auf, Bilder von der Kurischen Nehrung, wo unsere Mutter die Sommer ihrer Kindheit verbrachte. Dann sehe ich den Vater. An vielen Stränden der Welt sammelte er Sand. Gelben Sand, roten Sand, schwarzen Sand - welch eine Fülle von Farben!
Sand ist das Symbol der verrinnenden Zeit. „Auch ich bin älter geworden“, durchfährt es mich. „Wieviel Zeit auf Erden ist mir geschenkt worden?“ Ich denke den Gedanken und gebe ihn wieder frei. Wie die Welle in den Ozean, so fließt er in das Meer der Seele zurück. Schon steigen andere Bilder in mir auf. Die Mutter besaß eine kleine Eieruhr, durch deren Glas ein weißer Silbersand rieselte und die Minuten anzeigte. Mit Sand wird auch der Zement angerührt, der Steine zu Mauern zusammenfügt. Die Muschel besteht aus Kalk. Sie kann als Baustoff genutzt werden.
Geheimnisvoll wie die Muschel ist die Seele. Was wissen wir schon über unsere Eltern? Wir kennen nicht einmal uns selbst.
Muscheln kreuzen plötzlich unseren Weg. Das Meer des Lebens schenkt sie uns. Wir können sie übersehen, bewusst über sie hinwegschreiten, sie unachtsam verletzen oder uns bücken und sie aufheben. Wie die Liebe, so ist auch die Muschel ein Geschenk. Muscheln und Menschen brauchen Zuwendung. So geht der Muschelsammler achtsam vor der Muschel in die Knie. Nicht er hat sie, sie hat ihn gefunden. Sie trat in sein Leben, doch er hob sie auf.
Beim Muschelsammeln stellen sich die wesentlichen Fragen des Lebens ein. Wie die Muschel aus der Tiefe des Meeres, so steigen sie aus der Seele empor. Ich will ihnen nachspüren, denn sie gehören zu meinem inneren Reichtum.
„Lehre mich die Kunst des Müßiggangs!“, bitte ich Undine. Sie überreicht mir ein Geschenk des Meeres. Geschenke des Meeres - so nennt sie ihre kleinen Gedichte:
Muscheln sammeln,
müßig gehen am Strand:
Nichts suchen,
nichts mehr im Sinn haben,
ruhig werden,
endlich Durchatmen und Auftanken,
den Alltag vergessen,
sich von einer frischen Brise
neue Inspirationen schenken lassen,
den Möwen zuschauen und
die Flügel der Seele ausbreiten,
eine Muschel in die Tasche stecken und
sie mit nach Hause nehmen,
das Geschenk des Meeres in den Alltag holen.

Sandkörner
Schmerzen in Perlen verwandeln
„Doch, wie die Muscheln, die Verletzung litten,
Im Schoße formen den verlornen Saft:
Aus Leiden ward der Perlen Glanz erstritten,
So wuchs dies Lied aus einer bittren Stunde.
Aus einer Träne ward dies Lied erschafft.
Und ich vergaß der kaum empfangenen Wunde.“
Franz Grillparzer
Das Vollkommene atmet Leichtigkeit. Wer denkt beim Anblick der Perle an das Sandkorn? Keine Spur verrät das Gedicht von der Suche nach dem treffenden Wort. Leicht wie ein Vogel schwebt die Tänzerin über die Bühne. Ihre Bewegungen erinnern nicht an den langen Weg der täglichen Übung. Das vollendete Gemälde lässt die zahlreichen Entwürfe vergessen. Wer dächte beim Anblick der Kathedrale an das mühsame Behauen der Steine und den Sand, der zwischen den Fugen als Mörtel gerann? Mühsal, Schmerz, Entbehrung sind in Schönheit verwandelt.
Vom Meer war ein Gewitter über das Land gezogen. Der Blitz hatte die Stromversorgung lahmgelegt. Nun kann ich mich wieder im Ozean des Internets bewegen. Ich informiere mich über die Entstehung der Perle: Zwischen die Schalen der Muschel ist ein Fremdkörper gedrungen. Ein Sandkorn zum Beispiel. Das Muschelfleisch ist weich und empfindsam wie unsere Haut, die leicht von einem Dorn oder einem Holzsplitter verletzt werden kann. Uns schmerzt der Fremdkörper. Bald rötet sich die Wunde. Sie pulsiert und wird eitern, wenn es nicht gelingt, den Splitter mit einer Nadel aus dem Fleisch zu ziehen. Die Muschel kann das Sandkorn nicht ausspeien. Deshalb umschließt sie den Fremdkörper und bildet so die Perle.
Ich spreche mit Undine über die Sandkörner in meinem Leben. Sie ist ganz Ohr und beobachtet mich genau. Später sagt sie:
Höre ein Geheimnis:
Was dich verletzte,
was dich verwundete,
hat dich auch befruchtet.
Alle Wunden,
die dir das Leben schlug
durch eigene oder fremde Schuld:
Ließen sie dich nicht
wachsen,
reifen
und
Perlen bilden?
Geheimnisse können nicht erklärt werden. Ich will dem Geheimnis der Wandlung nachspüren. Geheimnisse offenbaren sich nicht zu jeder Zeit. Ich darf Geduld mit ihnen und mit mir haben. Irgendwann werde ich spüren: Mein Schmerz wird in eine glänzende Perle verwandelt werden. Undine sagt:
Verdränge nicht den Schmerz,
sondern verwandle ihn in die Perle!
Du hast heilende Kräfte in dir!
Vertraue auf die Kraft der Wandlung in deiner Mitte!
Die große Medizin ruht in dir.
Sie gehört zu deinem inneren Reichtum.
Perlen sind verwandelter Schmerz. Welch ein Mysterium! Um das Sandkorn in eine Perle zu verwandeln, bedarf es der Geduld. Patientia, habe ich einst in der Schule gelernt, bedeutet Geduld. Der Patient muss Geduld haben. Geduld ist nicht meine Tugend. Im Vertrauen auf die geheimnisvolle Kraft der Verwandlung zeigt die Muschel Beharrlichkeit. Sie gibt die Hoffnung nicht auf.
Perlen wachsen nicht in wenigen Tagen, und der Schmerz ist nicht im nächsten Augenblick überwunden. Alles braucht seine Zeit. Schicht für Schicht umhüllt die Muschel das Sandkorn mit Perlmutt. So wächst die Perle in ihr. Noch lange spürt die Perle das Sandkorn in sich. Eines Tages wird der Schmerz eine ferne Gedächtnisspur sein, bis er sich schließlich ganz in der Erinnerung verliert. Doch noch ist der Weg weit.
Für die Nacht ist wieder ein Gewitter angekündigt. Als ich eine Taschenlampe unter mein Kopfkissen legen will, finde ich ein neues Geschenk des Meeres mit Undines schön geschwungener und in weiten Wellen fließender Handschrift:
Wandle
das Sandkorn der Mühsal
in die Perle der Leichtigkeit,
das Sandkorn des Schmerzes
in die Perle der Freude,
das Sandkorn der Entbehrung
in die Perle der Fülle,
das Sandkorn der Enttäuschung
in die Perle der Zuversicht,
das Sandkorn der Ungeduld
in die Perle der Geduld,
das Sandkorn der Eifersucht
in die Perle der Toleranz,
das Sandkorn der Ungerechtigkeit
in die Perle der Gerechtigkeit.
Eines Tages wirst du reine Perle sein!
