INHALT

Bad Salzdetfurth:

Der Schreibtisch wird geliefert 9

Münster:

Vorlesungen im Schloss 16

Sterne über dem Dom:

Die Sprechstunde 41

Schulzeit in Lübeck:

Absolutismus der Wirklichkeit 58

Innere Emigration:

Krieg, Arbeitslager und Gefangenschaft 77

Praktische Philosophie:

Vorsicht im Umgang mit Engeln 93

In Nacht und Eis:

Leben mit dem Weltuntergang 108

Danksagung 129

 

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„Der Erzieher weist als Erzieher über seine eigene Begrenztheit hinaus.
Ein großer Lehrer behält seine Wirkung auch dann,
wenn der Inhalt seiner Lehre längst überholt ist.“

Herwig Blankertz

 

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Ein Gespräch über den letzten Lehrer seiner Art:

 

https://www.deutschlandfunk.de/zum-100-geburtstag-von-hans-blumenberg-der-ganz-andere.886.de.html?dram:article_id=480336

 

 

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Dr. Maria Behre:

Umkehrung der Blickrichtung: LehrerIn werden -  SchülerIn sein

 

"Uwe Wolffs Erinnerungen an Hans Blumenberg, in sieben Kapiteln sein Leben und Werk erschließend, sind eine ganz besondere Freude – einerseits als gut zugängliche Lektüre, in der Blumenbergs Leben und das Leben des Autors, eines Gymnasiallehrers und in den Kulturwissenschaften habilitierten Schriftstellers, parallelgeführt werden, und andererseits – und dazu ist hier zum 100. Geburtstag ausdrücklich die Gelegenheit – als Vorlage zur Selbstreflexion aufseiten einer Leserschaft, die gleichzeitig in Münster weilte und auf die eigene Lebens- und Bildungsgeschichte blickt. Wolff (* 1955) hat den lebensgeschichtlichen Vorteil einer nichthintergehbaren Zeugenschaft: Als Münsteraner hat er die Kinder seiner Hochschullehrer schon auf der Schulbank kennengelernt und traf die Väter im weitesten Sinne am häuslichen Familientisch: den Sohn des Philosophen Blumenberg, Tobias (* 1959), den Sohn des Pädagogen Blankertz, Stefan (* 1956), die Tochter des Mittelalter-Philologen Ohly, Marga (* 1955) sowie die Tochter eines Mitarbeiters des Theologen und Bibeleditors Kurt Aland."


 

 Hier die vollständige Besprechung:

https://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=26891&p=30ce 

 

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Professor Dr. Harald Seubert (Basel):

Antidotum zur didaktischen Überdetermination und Überkontrolliertheit der gegenwärtigen Universität

 

"Die Faszination, die von Blumenberg ausgeht, bündelte als einer seiner Schüler, der Schriftsteller Uwe Wolff in einem schönen Erinnerungsband. (...) Wolff evoziert aus dem Rückblick die Dankbarkeit an einen Lehrer, der sich weitgehend dem Dialog verweigerte, aber seinen Schülerinnen und Schülern die langen Welt- und Denkketten der Tradition des Abendlandes mitteilte, als Depositum zu eigener reflexiver Aneignung. Im Münster der 1970er und 1980er Jahre konnte man mit dem späten Blumenberg einem Denker begegnen, der ostentativ ein „ganz Anderer“ war: so die Quintessenz von Wolffs Liebeserklärung. Diese Liebe geht allerdings nicht aus Blindheit hervor, sie kann und will sehen. So macht Wolff die Atmosphäre in Blumenbergs Vorlesungen und dessen Lust zu lehren und seinen Humor plastisch deutlich.

 

Dass Wolff die Virilität Blumenbergs, eine männliche Kraft, erinnert und andeutet, dieser Mann hätte auch in der Vita activa als Unternehmer Karriere machen können, erweitert und inspiriert das Blumenberg-Bild. Er vergegenwärtigt die Gespräche, die er mit Blumenberg führen konnte, seine Anteilnahme an dem werdenden Schriftsteller und er lässt die dauerhaft katholische Prägung aufleuchten. Wolff räumt ein, dass andere zu anderen Zeiten auch andere Facetten wahrgenommen habe. Die sympathische Dankbarkeit dieser Reminiszenzen gilt auch einem Lehrer, der den Mut zum Nicht-alles-Verstehen als philosophische Haltung einschärfte: Antidotum zur didaktischen Überdetermination und Überkontrolliertheit der gegenwärtigen Universität."

 

 

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Professor Dr. Hartmunt Freytag
„Erinnerungen eines Studenten an Hans Blumenberg“
In: Lübeckische Blätter 2020/11. S. 177f.

 


„Über Ulrich und Martin Thoemmes hinaus kam Wolff in Lübeck mit Lisa Dräger, der Witwe des Industriellen Dr. Heinrich Dräger, ins Gespräch.  (...) Im Zentrum des schmalen, leicht lesbaren, fesselnden und durchaus unterhaltsamen, indes auch bewegenden Bandes steht keineswegs das philosophische Werk Blumenbergs, sondern eher der akademische Lehrer der Münsterer Jahre. Dieser muss sich seinem Hörer und Gesprächspartner Uwe Wolff so nachhaltig eingeprägt haben, dass er fast vierzig Jahre nach seinem Studium und ein Vierteljahrhundert nach dem Tod des Philosophen die Biographie niedergeschrieben hat.  (…)


Trotz und auch gerade wegen der Vielfalt der Facetten bis hin zu unerwarteten, witzigen und skurrilen Zigen in der Persönlichkeit des Philosophen stimmt das Buch nachdenklich und weitet durch die Erinnerung an die erschütternden unbarmherzigen Akte menschlichen Versagens und ihre katastrophalen Folgen sowie auch an Beispiele unerschrockener Gegenwehr aus religiöser Überzeugung den Blick auf die düsterste Epoche jüngerer deutscher Geschichte. Möge die Besprechung dazu anregen, die kleine Biographie zu lesen!“

 

 

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Dr. Christian Reidenbach: Hochämter einer fröhlichen Gelehrsamkeit

 

"Uwe Wolff, der den Meisterphilosophen persönlich gekannt hat und heute an seinem Schreibtisch sitzt, fragt mit diesem Erinnerungsbüchlein nach den Bedingungen der Möglichkeit eines Blumenberg. Er entfaltet die Lesewelten des hochbegabten Jugendlichen, stellt seine Interessen in Schul- und Studienzeit vor und leitet so, aus der unmittelbaren Lebensnähe zum Menschen Blumenberg, die zentralen Motive seines Denkens her. Auch wer nicht selbst das Glück hatte, den berühmten Freitagsvorlesungen des Münsteraner Ordinarius beizuwohnen, kann hier nachvollziehen, warum sie zu Hochämtern einer fröhlichen Gelehrsamkeit wurden. Erfrischend ist Blumenbergs Neigung zur Pointe, zur Polemik und mitunter zum Lästern. In ihr äußert sich ein unbeugsamer Geist, der den Mut zum Unzeitgemäßen besitzt – eine Haltung, die sich in letzter Konsequenz freilich nur in der mönchischen Einsamkeit der Altenberger Schreibklause verteidigen ließ. Wo Uwe Wolff nicht aus den reichhaltigen eigenen Erinnerungen schöpfen konnte, hat er ehemalige Freunde und Weggefährten des Philosophen befragt und kommt ihm, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, mit diesem schön eingebundenen Büchlein auf bisher ungekannte Weise nahe."


 

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Dr. Nico Schulte-Ebbert:

"Zum 100. Geburtstag des Philosophen Hans Blumenberg legt Uwe Wolff

eine ganz persönliche Hommage an seinen Lehrer vor"

 

 

"Uwe Wolff ist im Genre der Biographie keineswegs unbewandert. So rekonstruierte er bereits 1999 mit Das bricht dem Bischof das Kreuz die Leidensgeschichte der dreiundzwanzigjährigen Würzburger Studentin Anneliese Michel, die 1976 im unterfränkischen Klingenberg an den Folgen des letzten Exorzismus in Deutschland gestorben war. 2009 erschien Wolffs Dissertation »Das Geheimnis ist mein« über den Schweizer reformierten Theologen und Kirchenhistoriker Walter Nigg (1903-1988), der 2017 eine komprimiertere Fassung unter dem Titel Walter Nigg. Das Jahrhundert der Heiligen folgte. 2012 habilitierte sich Wolff bei Hanns-Josef Ortheil mit Der vierte König lebt!, einer Biographie über den heute fast vergessenen Schriftsteller Edzard Schaper (1908-1984). Ein Jahr später verfaßte er für den Band Iserloh. Der Thesenanschlag fand nicht statt eine etwa 120 Seiten umfassende biographische Studie des römisch-katholischen Kirchenhistorikers Erwin Iserloh (1915-1996). Im selben Jahr, 2013, erschien Wolffs Neuerzählung des Leben Jesu, bevor er sich 2017 mit Als ich ein Junge war seinem eigenen Leben widmete und den Leser einlud auf eine unterhaltsam-nostalgische Reise in seine Kindheit und Jugend in Münster von seiner Geburt 1955 bis zum Abitur 1975. A splendid time is guaranteed for all. – Und nun also: Hans Blumenberg.

In einem Gespräch mit Heimo Schwilk und Rüdiger Safranski verriet Uwe Wolff im Frühjahr 2011: "Was ich schreibe, kann ich nur in dem Bewusstsein veröffentlichen, dass es letztlich auch der Familie dient. Ich muss also ein grundsätzlich positives Verhältnis zu dem Porträtierten haben. Das Berührende meiner Arbeit ist, dass ich mich in allen drei Fällen (Anneliese Michel, Walter Nigg und Edzard Schaper) in die Biografie mit hineingeschrieben habe." Und genau dieses Mit-Hineinschreiben wird gleich im ersten Kapitel der Wolffschen Erinnerungen an Hans Blumenberg deutlich: Der Autor tritt sowohl in einen Dialog mit seinem Lehrer als auch mit Vergangenheiten ein. Der Inhalt der Schreibtischschubladen aktiviert die mémoire voluntaire: Auf engstem Raum erschafft Wolff temporale Konvergenzen, wenn er etwa kurze Ausflüge in die Herkunftsgeschichte der Blumenbergs im Hildesheimer Land bis ins späte 18. Jahrhundert unternimmt oder die Anfangszeit des Kunstverlages J. C. Blumenberg in Lübeck nach dem Ersten Weltkrieg mit Blick auf die konfessionelle Topographie skizziert. Im weiteren Verlauf seiner Erinnerungsarbeit flechtet er die eigene Lebensgeschichte in diejenige Blumenbergs ein, läßt dadurch subtil unterschiedliche Zeiten und Lebenswege ineinanderfließen, was an das Schreiben W. G. Sebalds erinnert. Wolffs Methode könnte anhand des in der Kunstgeschichte intensiv diskutierten, 1656 entstandenen Gemäldes »Las Meninas« des spanischen Barockmalers Diego Velázquez (1599-1660) veranschaulicht werden: Der dort dargestellte Maler ist Uwe Wolff, das Gemälde, das nur von hinten zu sehen ist, ist der Schreibtisch des Philosophen, an dem Wolff seine Erinnerungen niederschreibt. Die Figurengruppe rechts neben dem Maler könnte als Personifikation der Blumenbergschen Themen und Bücher aufgefaßt werden, während Blumenberg selbst, sprich das Modell, indes nur indirekt erscheint, und zwar in einem hinter dem Maler an der Wand hängenden Spiegel. Der zweite Beobachter, der erhöht auf einer Treppe in einem Türrahmen steht und als einziger die Szenerie voyeurhaft überblickt, das sind wir, das ist der Leser. Michel Foucault (1926-1984), der sich im ersten Kapitel von Die Ordnung der Dinge dem Raum und den Blickrichtungen der Velázquezschen »Hoffräulein« widmet, verweist auf die Differenz von Bild und Text, was auch auf das Verhältnis von Leben und Biographie Anwendung finden kann: "Sprache und Malerei verhalten sich zueinander irreduzibel: vergeblich spricht man das aus, was man sieht: das, was man sieht, liegt nie in dem, was man sagt; und vergeblich zeigt man durch Bilder, Metaphern, Vergleiche das, was man zu sagen im Begriff ist."

 

Man kann Der Schreibtisch des Philosophen einerseits als Fortführung der Wolffschen Autobiographie lesen; andererseits erscheint das Erinnerungsbuch an den Hochschullehrer wie eine alternative Fassung der 2018 in die Kinos gekommenen Roadmovie-Dokumentation Hans Blumenberg. Der unsichtbare Philosoph. Die Nichttreffen und Verfehlungen, von denen etwa Henning Ritter, Martin Mayer oder Michael Krüger berichten, sind essentieller und faszinierender Teil des Blumenberg-Mythos: Hans Blumenberg als Meister des Sich-Entziehens und Sich-Distanzierens, als philosophischer Doppelgänger Thomas Pynchons, ja fast könnte man den Eindruck gewinnen, er sei eine literarische Figur, die sich Sibylle Lewitscharoff ausgedacht habe! Wer am 28. September 2011 in der Stadtbücherei Münster zugegen war, der wurde nicht nur Zeuge einer eindringlichen Lesung Lewitscharoffs aus ihrem Roman Blumenberg, sondern auch Beobachter einer lebhaften Debatte, in der sich ehemalige Blumenberg-Schüler sowohl anerkennend als auch kritisch zu Wort meldeten. Während sich die Kritik hauptsächlich auf die überzeichnete, fiktive Darstellung des Philosophen bezog (das Schlagwort »Bilderverbot« durchzog das Auditorium), zollte man Lewitscharoff Anerkennung für die realistische Beschreibung der Vorlesungsatmosphäre, wie sie im »Coca-Cola«-Kapitel nachzulesen ist.

 

Diese Realitätsnähe ist Uwe Wolffs ›Beraterfunktion‹ geschuldet: Wolff erzählte Lewitscharoff nicht nur von Blumenberg, er gewährte ihr auch Einsicht in den Briefwechsel mit seinem Lehrer. Und nun zeichnet Wolff selbst ein ganz persönliches Bild mit seinem Erinnerungsbuch. Gerade die Kapitel über Blumenbergs Vorlesungen (pp. 16-40) und seine Sprechstunden (pp. 41-57), in denen es zunächst zum distanzierten, dann zum direkten Kontakt kommt, tragen dazu bei, den Menschen hinter dem großen und mythenumrankten Autorennamen zu zeigen und ihn nicht zuletzt durch seinen Humor nahbar und sichtbar zu machen."

 

  

https://denkkerker.com/2020/02/29/erinnerungsarbeit-am-mythos/ 

 

 

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 Professor Dr. Markus Hundeck:

"Leise Erinnerungen am 'Heiligen Holz'"

 

"In einem perlenden Glissando voller Episoden und Erinnerungsfragmente legt Wolff die Spuren einer späten Freundschaft mit dem berühmten Philosophen frei, darunter bereits Bekanntes, Persönliches, Humorvolles, doch ohne voyeuristisches Interesse.
Aber dieses Buch der Erinnerungen ist doch vielmehr: es ist ein Buch über das Schreiben, eine Erzählung darüber, wie ein junger Mensch, der sich zum Schreiben berufen fühlt, in Dialog und Auseinandersetzung mit dem gelehrten Philosophen tritt und in diesem Gespräch versucht, seine eigene Stimme zu finden.
Die im Schreibprozess immer wieder vergegenwärtigte Berufung zum Schreiben gestaltet Wolff als eine lebendige Memoria eines Lehrer-Schüler-Verhältnisses, wodurch deutlich wird, Erinnerung geschieht sukkzessive, nicht stringent, so wie der Prozess des Schreibens eben auch.
Dieser beinahe stille Dialog beider Protagonisten, oder, treffender noch, der Dialog beider Lebensbücher, kommt ohne den Hype der Sensation aus. Ein seltener Fall in einer immer lauter und öffentlicher werdenden Welt. Der Grund dafür spiegelt sich im Charakter der Absichtslosigkeit: Weil Wolff, wie er selbst sagt, von Blumenberg eigentlich nichts wollte, bekam er deshalb von diesem unendlich viel.
Das bringt dem Leser das Buch so nah: Man sieht den Autor am Schreibtisch des großen Philosophen sitzen, lächelnd, so wie jemand lächelt, der sich dankbar erinnert, ohne Wehmut, ohne den Neid verpassten Ruhms. An diesem Holz aus dem Hildesheimer Land geht das memoriale Gespräch weiter. Ganz nah führt es in die Lebenswelt. Wie ein herzliches Gespräch unter Nachbarn.
Um in der Analogie zu bleiben, die Hintergründe und das Weiterdenken durch und mit diesen Erinnerungen ergeben sich für den Leser dann, wenn die Tür des Nachbarn wieder geschlossen wird. Deshalb dieser unerwartete Titel des Buches und deshalb dieser Einstieg, die Anlieferung des „Heiligen Holzes“ durch eine Spedition an den Wohnort des Autors. Die Szenerie der Anlieferung des Schreibtisches vergegenwärtigt eine Erkenntnis, dass erinnerte Momente des Autors mit Blumenberg wie auch jene Ereignisse, die aus Blumenbergs Leben erzählt werden, nur als Bilder beschrieben, nicht aber wirklich gesagt werden können. Ob es sich hierbei um die Vorlesungen im Münsteraner Schloss handelt, die Sprechstunden beim Philosophen freitags zur Vesperzeit; die Schilderung des jungen Blumenberg, wie er im Kunstunterricht eine Skulptur Barlachs beschreiben soll oder im Bild des weltvergessenen neunjährigen Lesers, der im kalten Zimmer der Wohnung seiner Tante Fritjof Nansens Bericht „In Nacht und Eis“ liest. In allem vermag es Wolff, den Leser von der sensationsheischenden Gier nach Informationen abzubringen.
In dieser heiteren Ruhe wird das erinnerte Bild des Philosophen klarer, rückt näher, entbehrt des Sockels eines Olympiers. Im Rückgriff auf die stillen Seiten der Erinnerung, die für den Autor anders laut sein mögen als sie für den Philosophen gewesen waren, schälen sich immer wieder die Lehrergestalten als Anknüpfungsszenarien heraus. Sie bilden die geheime Struktur der Erinnerungen, sie vermitteln ein Ideal, welches heute weder mit Schule noch mit Universität wirklich verbunden wird und möglicherweise auch nicht mehr verbunden werden kann.
Doch die Wärme der Schilderungen über Blumenbergs Klassenlehrer Wilhelm Krüger etwa, der in der Entscheidung, in die innere Emigration zu gehen, Blumenbergs Vorbild im Widerstand gegen den Absolutismus der Wirklichkeit wurde, brechen die melancholische Seite dieser doch immer gewaltsamen Entscheidung auf. Dieses Modell der inneren Emigration, vom Lärm der Welt wegzurücken, wird für Blumenberg zur Strategie des Überlebens in Krieg, Arbeitslager und Gefangenschaft. Sie wird sein Lebensprogramm.
In Zeiten grenzenloser Kommunikation jedweder Art mögen solche Lebensentscheidungen nur schwer erträglich sein, zumindest verweigern sie sich dem Druck der Gleichwertigkeitsdoktrinen. Wohl auch deshalb diese Ungreifbarkeit Blumenbergs. Wolff hat diese Seite an Blumenberg akzeptieren können, seine aneinandergeknüpften Erinnerungen dokumentieren dies und tragen zur Entschlackung der heroisierten Montagen Blumenbergs bei.
Welches Bild bleibt aber dann von einem Philosophen, den die wenigsten gekannt und dessen Werke wohl ebenso viele nicht wirklich gelesen haben? Wolffs Erinnerungen zeichnen provozierend leise das Bild des Philosophen Blumenberg, der mit Humor und Melancholie sich der nackten Wahrheit seines Lebens stellte, jener Wahrheit von Fragen, denen er nicht ausweichen konnte. In dieser Unerbittlichkeit der Annahme seines eigenen Lebensschicksals aber, wie Romano Guardini dies einmal als Strategie in einem Büchlein beschrieben hat, konnte Blumenberg für Wolff ein echter Lehrer, Geburtshelfer und Wegbegleiter im Prozess der Selbstwerdung sein.
Dadurch erklingen diese unabweislichen Fragen der Philosophie und die Blumenbergs allzumal, in einem anderen Ton. Sie verklingen nicht im Nichts. Sie bergen noch etwas anderes und haben nicht den ausschließlich negativen Nimbus der Probleme an sich. Odo Marquard hatte Blumenbergs Bücher als dickleibige Problemkrimis beschrieben. Wolffs Buch lenkt bewusst die skeptische Sicht auf Blumenbergs Werk um, er nimmt maieutisch den Leser an die Hand und zeigt ihm, dass dieser einen Schritt beiseitetreten könnte, um einen anderen Blick auf oder hinter den Schleier der opulenten Gelehrsamkeit Blumenbergs zu werfen.
Was würde der Leser sehen? Was würde ihm aufgehen? Etwa: Was wäre, wenn die Vielzahl der gedruckten und ungedruckten Seiten des Blumenbergschen Oeuvres nur eine Sehnsucht, vielleicht und sicher auch einen Schmerz, aber mindestens eine Sehnsucht beschrieben, die nicht gestillt werden konnte? Ein Schmerz und eine Sehnsucht, eine andere Seite des Nichts, die Rückseite des Mondes der Endlichkeit?
Der Schreibtisch des Philosophen, „Heiliges Holz“ genannt, verbindet sich mit dieser Sehnsucht und diesem Schmerz, reiht sich ein in das Monument eines Werkes, in die Unbegreiflichkeit der Passion eines Lebens, postuliert die Unsagbarkeit, nicht jedoch ihre Unsichtbarkeit. Diesen sichtbaren Spuren eines Lebensweges ist Wolff, deshalb sein letztes Kapitel über die Expedition ins Polarmeer, in seinen Erinnerungen an Blumenberg gefolgt. Er hat sie freigelegt wie ein Archäologe und zum abgearbeiteten Schreibtisch des Philosophen heimgebracht."

 

https://www.amazon.de/gp/customer-reviews/R29I1MYI2T5Z2G?ref=pf_vv_at_pdctrvw_srp

 

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Flowermount:

 

"Keiner weiß so viel über Blumenberg wie Wolff, wenn es um den Menschen hinter dem Lebenswerk geht."

 

https://www.amazon.de/gp/customer-reviews/R3ODWE91XRECPF/ref=cm_cr_dp_d_rvw_ttl?ie=UTF8&ASIN=3532628503

 

 

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"Hans Blumenbergs 'Matthäuspassion' ist kein Buch über Bach, sondern eine Art letzter Theologie (...).

Sie wie der Theologe - und passionierte Angelologe - Uwe Wolff in seinen nun erschienenen

'Erinnerungen an Hans Blumenberg'

als 'Logbuch einer Fahrt in die Gottesfinsternis' zu bezeichnen, ja sie als Blumenbergs 'Nachfolge Christ' zu nehmen

mag ein Pathos ins Spiel bringen, das Blumenberg in seinen verwinkelten Sätzen einklammerte,

aber theologisch unangemessen ist diese Charakteristik wohl nicht.

Sie erinnert jedenfalls zu Recht an den Stellenwert dieses schmalen Buchs

für zentrale, intellektuell wie biographisch tiefliegende Motive Blumenbergs,

der sein Studium als Priesteramtskandidat begonnen hatte."

 

Dr. Helmut Mayer  in der FAZ vom 9. April 2020

 

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"Zum 100. Geburtstag Hans Blumenbergs erschien dieses wunderbar kurzweilige Büchlein, das auf unterhaltsame und anschauliche Weise dem Leser einen Philosophen näherzubringen versucht, der der breiten Öffentlichkeit doch eher unbekannt ist. Es macht große Freude in dem Büchlein zu lesen und einige Anekdoten vor Augen geführt zu bekommen. Gleich zu Beginn fängt es unterhaltsam an, wenn der Autor Uwe Wolff den ehemaligen Schreibtisch Hans Blumenbergs geliefert bekommt, weil das Haus, in dem Blumenberg wohnte, abgerissen und für das Möbelstück ein neuer Platz gesucht wird. Wer würde nicht an einem Schreibtisch arbeiten wollen, der zuvor einem echten Philosophen gehört hat? Und dann in den Schubladen zu stöbern, die auch noch einigen Inhalt bereithalten!


Das Büchlein ist keine Biografie im klassischen Sinne, sondern enthält Erinnerungen des Autors an seinen Freund Hans Blumenberg und macht mehr Lust auf Blumenberg: sich mit seinem Leben und seine Schriften auseinanderzusetzen. Insgesamt kann man nur dazu raten, das Buch zu kaufen!"



Stefan Düfel, für: lehrerbibliothek.de

 

 

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Wolff war selbst in Münster Student bei Blumenberg und blieb ihm Zeit seines Lebens eng verbunden. Eindrücklich schildert er den akademischen Stil des Hochschullehrers, der sich späterhin nicht mehr auf Tagungen blicken ließ. Starkes Augenmerk legt er auf die Nacherzählung der Kindheit Blumenbergs, dessen überragende Begabung sich bereits in Lübecker Schulzeiten erwies, indem er als 12-Jähriger eine eigene Zeitschrift herausgab. Dabei zeigt sich, dass seine lebenslangen Forschungsinteressen sich schon in Jugendjahren formierten.“

 

EKZ-Informationsdienst

 

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"Der Philosoph Hans Blumenberg (1920–1996) war eine Jahrhundertfigur jenseits der intellektuellen Moden. Majestätisch ragt sein Schaffen mit Gipfelwerken wie «Die Genesis der kopernikanischen Welt» und «Arbeit am Mythos» in der modernen Geistesgeschichte empor.

Den wundersamen Menschen Blumenberg hat uns Sibylle Lewitscharoff im gleichnamigen Roman 2011 schon nahegebracht. Solches tut auch sein Schüler Uwe Wolff mit Verve und Witz: Er schildert den Allesleser und Denkriesen, dessen Tag kurz nach Mitternacht begann und der in Münster beim letzten Satz seiner Vorlesung immer schon Hut und Mantel anlegte."

 

Manfed Papst. Einstieg ins Gebirge. In: NZZ am Sonntag 24. Mai 2020

 

 

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„Jetzt ist also der Schreibtisch des Philosophen an den Ort gekommen,

wo die alte Familie Blumenberg ihren Ursprung hat, ins Hildesheimer Land.“


Stefan Branahl. In: Kirchenzeitung. Die Woche im Bistum Hildesheim (12. Juli 2020)

 

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"Uwe Wolffs kleines Buch gibt erste Aufschlüsse über den Menschen, der sich hinter dem Werk verbarg. Wolff war Blumenberg eng verbunden, er hörte ihn in Münster und stand später in intensivem Briefkontakt mit ihm. Der titelgebende Schreibtisch von Hans Blumenberg, den Uwe Wolff zu Beginn seines Buches in den eigenen Haushalt übernimmt, dient als Ausgangspunkt der Erinnerungsarbeit. Man kann diese Erinnerungen, auch ohne Zugang zur Blumenberg’schen Philosophie, rein aus Interesse am Biografischen lesen. Dabei wird man mit unterhaltsamen, wunderbar erzählten Anekdoten belohnt. (Einem Studenten, der seine Vorlesung verlässt, ruft Blumenberg hinterher: „Gehen Sie ruhig! Mich langweilt die Vorlesung heute auch!“) Darüber hinaus gibt das Buch aber auch Aufschluss über den Charakter Blumenbergs und über die Motive, die sein Denken antrieben, über seine intellektuell prägenden Lehrer, Freunde und Weggefährten und über sein Verhältnis zur Religion, das zwischen Distanz und Annäherung schwankte."

 

Daniel Zöllner

 

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"Rüdiger Zill ist Blumenberg nie begegnet,

Jürgen Goldstein hat ihn im Hörsaal in Münster erlebt,

Uwe Wolff hat nicht nur das,

er besitzt zudem den Schreibtisch des Philosophen.

Der Autor hat ihn von einem Sohn Hans Blumenbergs geschenkt bekommen."

 

Justus Wenzel. Hans Blumenberg - Meister der Problemkrimis.

In: Die Zeit vom 9. Juli 2020

 

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"Es ist die Versöhnlichkeit im Umgang mit diesem – offenbar manchmal als streitbar empfundenem - Philosophen und Literaten, der sich der Welt weitgehend entzogen hat, die den Leser beglückt, und ihn leiten kann in seinem persönlichen Umfeld. Ein einmaliger Zugang zu Hans Blumenberg – ein must-read für jeden Blumenberg-Fan!"

 

Thomas Hesselbarth

 

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"Während ich von 1975 bis 1980 in Münster Philosophie studierte, gab es zwei Freitagsvorlesungen: Die des damals weltweit meistgelesenen deutschsprachigen Philosophen Josef Pieper und - im Audi Max - die von Hans Blumenberg. Traf man Blumenberg auf dem Flur, hätte man ihn eher für den Hausmeister als für einen berühmten Professor gehalten. Das änderte sich, sobald er hinter seinem Katheder stand und sprach. Der Hörsaal blieb das ganze Semester lang überfüllt, Lehrstuhlinhaber anderer Fachbereiche sassen neben Geschäftsleuten auf Treppenstufen. Jeder konnte von seinen Gedanken profitieren."

 

Heinrich Maiworm

 

 

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"Uwe Wolff hat die Erinnerungen an seinen Lehrer in ein sehr berührendes und informatives Buch gesteckt"

 

Michael Reitz. Mit Metaphern die Welt begreifen  - Der Philosoph Hans Blumenberg

In: rbb vom 12. Juli 2020

 

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"1977. Münster, Westfalen. Schloss. Hörsaal S 8, Freitag, 14.15 Uhr. Hier entdeckte Wolff, Student der Theologie, Blumenbergs Vorlesung. 'Mit Blumenberg war keine Schule zu machen.' Dafür konnte man sich mit ihm anfreunden. Aus Fragen zu Vorlesungsinhalten ergaben sich Gespräche in Blumenbergs Sprechstunde, Lektürehinweise, die Übersendung kommentierter Zeitungsausschnitte, eine Korrespondenz.“

 

Alexander Kluy. In: Der Standard (Wien), 13. Juli 2020

 

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"Uwe Wolff, weithin bekannt als Angelologe, „Deutschlands bekanntester Engelforscher“, wie ein Magazin über ihn schrieb, legt nun mit „Der Schreibtisch des Philosophen“ ein leichtfüßig formuliertes, aber inhaltsschweres Büchlein über seinen Universitätslehrer Hans Blumenberg vor. Der Münsteraner Philosoph Blumenberg war selbst fasziniert von den Mittlern zwischen Himmel und Erde. Das Thema entsprach seinem Drang, Licht ins Zwielichtige des scheinbar Eindeutigen zu bringen. Uwe Wolff, auch er ein Wanderer zwischen der Möglichkeitswelt der Literatur – er schrieb Romane und verfasste literaturhistorische Monografien über Goethe, Thomas Mann und Hesse – und den Dogmatiken der Theologie, wurde als Student von Blumenbergs eigenwilliger Lehr- und Denkmethode angezogen. Denn der Philosoph betrachtete den Mythos, ja jede Überlieferung als Denkrätsel, als hermeneutische Herausforderung, dem er auf feuilletonistisch verspielte, faszinierende Weise nachspürte.


Dabei suchte der jung ausgezeichnete Wolff (er bekam bereits als 21-Jähriger den Thomas-Mann-Förderpreis) gar nichts Besonderes, als er sich zu den Vorlesungen einschrieb, die Blumenberg im Münsteraner Schloss eigentlich nur für sich selbst hielt. „Die Philosophie blieb für mich frei von allen Zwecken, und vielleicht war diese Haltung der Grund, warum ich bald einen Lehrer finden sollte, von dem ich nichts wollte und deshalb vieles bekam“, bekennt der frühere Gymnasiallehrer. Blumenbergs Ruminieren in der Bilderwelt der Überlieferung kam der eigenen Sprachsensibilität entgegen – aber ebenso die starke Prägung des Philosophen durch das katholische Elternhaus. Mit Blumenberg konnte er „über Gott und Goethe“, das Thema „Mythos und Metapher“ gleichermaßen reden und sich in einer längeren Korrespondenz austauschen. Sie liegt inzwischen im Blumenberg-Nachlass des Marbacher Literaturarchivs.


Liest man Wolffs Erinnerungen genau, wird man feststellen, dass es eigentlich ein Dreifachporträt ist. Denn auch der Mediävist Friedrich Ohly wird als passionierter Universitätslehrer vorgestellt, dem Wolff vieles verdankt. „Er wollte Lehrer sein, der lehrend von seinen Schülern lernt.“ Kein größerer Gegensatz ist denkbar als der zu Hans Blumenberg, der lehrend ganz ohne Belehrte auszukommen meinte. Ohly war auf das Echo seiner Studenten angewiesen, die wie er auf der Suche waren und sich im besten Falle ideal ergänzten. Ganz anders Blumenberg. Er machte die entscheidenden Fragen mit sich selbst aus und neigte, was die von seiner Wissensfülle beeindruckten Zuhörer betrifft, zur beißenden Ironie. Allerdings durften seine Vorlesungen mitgeschnitten werden, was Blumenbergs Auftritten etwas Feierliches, „jene Aura aus Messe und Happening“ vermittelte, wie Wolff schreibt. Hans Blumenberg sei wie Ernst Jünger „ein männlicher Denker mit der Aura des Eingeweihten“ gewesen, erinnert sich sein Lieblingsschüler, der bis es dunkelte in den Sprechstunden des Professors saß. Draußen vor der Tür wartete Tobias Blumenberg geduldig, bis er seinen Vater nach Hause fahren durfte.


Der Name Ernst Jünger fällt am häufigsten in Wolffs Erinnerungsbuch. Das ist kein subjektiver Eindruck des Jünger-Biografen. Ganze Kapitel werden von Jünger-Zitaten eingeleitet. Der Autor erklärt Ernst Jünger sogar zu einem von Hans Blumenbergs „Lehrern“. Das ist natürlich übertrieben, denn Blumenbergs 2007 posthum bei Suhrkamp erschienene Aufsatz- und Glossensammlung „Der Mann vom Mond. Über Ernst Jünger“ kann eher als wohlwollende Dekonstruktion der Erkenntnis- und Schreibmethode des Uralten aus Wilflingen gelesen werden, der Blumenberg auch wegen dieser langen Lebenszeit imponierte. Jünger wollte seine Existenz keineswegs, wie Hitler und andere Tyrannen des 20. Jahrhunderts, mit der „Weltzeit“ synchronisieren. Deren diktatorischer Zugriff verlangte die Exekution der verbrecherischen Ideen sofort, innerhalb der eigenen Lebenszeit. Hans Blumenberg hat darüber ein umfangreiches Buch geschrieben. Ernst Jünger war für ihn der Gegenentwurf: Lebenszeit rühmt Weltzeit.


In seinen Tagebüchern sinnt Jünger sogar darüber nach, warum er nicht wie Millionen anderer in den Grabenkämpfen des Ersten Weltkrieges gefallen sei. Sein Überleben war ihm eher suspekt. Er setzte nicht auf die eigene Lebensspanne, sondern als Dichter auf das platonische Wiedererkennen des Immergültigen, den „ewigen Augenblick“, der das Ganze blitzartig im konkreten Einzelnen erfasst. Blumenberg konstatierte, dass Jünger vom Nihilismus erfasst, ihm aber keineswegs erlegen sei. Das machte das Werk des „Meisters der Kryptogramme“ für ihn gewissermaßen zum Erkenntnis-Rebus, zu einer Art zweiter Natur, die es zu entziffern galt.


Für Hans Blumenberg war Ernst Jünger – über dessen Hunger nach Transzendenz hinaus – schon deshalb ein glaubwürdiger Zeitzeuge, weil er nach 1933 dem NS-Regime den Rücken gekehrt und sich allen Vereinnahmungen konsequent entzogen hatte. Riskanter Höhepunkt dieser Verweigerung war die Veröffentlichung der Parabel „Auf den Marmorklippen“, in der Jünger 1939 mit seinem Bild von der „Schinderhütte“ das Grauen der Konzentrationslager vorweggenommen hatte. Blumenberg, Sohn einer jüdischen Mutter, hatte die Folgen der Rassegesetze am eigenen Leib zu spüren bekommen, wie Wolff in den biografischen Abschnitten seines Buches ausführlich dokumentiert.


In seinen Überlegungen zu Jüngers kühnstem Buch machte Blumenberg sich vor allem Gedanken über den vermeintlichen Wegfall der Präposition „Auf“ in der französischen Übersetzung der Marmorklippen („Les Falaises de Marble“), die 1942 bei Gallimard erschien. Allerdings sitzt der Philologe aus Leidenschaft hier einem Irrtum auf. Die Übersetzung von Henri Thomas erschien unter dem Titel „Sur les falaises de marble“ mit dem exakt übertragenen Titel, hinter dessen Veränderung Blumenberg zu Unrecht ein Zugeständnis an die Zensur vermutete. Um die Zeit- und Ortlosigkeit der Erzählung noch zu steigern, habe man jeden Anschein von Authentizität vermeiden wollen, kombinierte er. Es gibt in seinem Jünger-Band noch weitere Mutmaßungen, die den Willen des Autors erkennen lassen, ein wenig am Jünger-Monument zu rütteln – auch mit reichlich Ironie.


Hochironisch ist denn auch Blumenbergs Glosse „Ein Zeckenbiß“, in welcher der Philosoph ganz unphilosophisch die BILD-Zeitung zitiert, die am 25. August 1993 mit der Schlagzeile „Ein Jahrhundert-Mann kämpft mit dem Tod“ gemeldet hatte, dass Jünger infolge eines Zeckenbissen mit Herzinfarkt in der Klinik liege. Uwe Wolff hatte ihm damals die Nachricht übermittelt. Aber tatsächlich hatte sich der 98-Jährige längst erholt und seiner Frau, die ihm das Boulevard-Blatt in die Klinik brachte, lapidar geantwortet: „Von denen muss ich mich ja nicht gerade beerdigen lassen“.


Das hatte ich telefonisch von Frau Jünger erfahren, die ich nach dem Befinden ihres Mannes befragte. Sie sagte lachend, ihr Mann habe sich von der Schlagzeile erholt und sitze längst wieder vor seiner Käfersammlung. Ich gab diese denkwürdige Anekdote an Uwe Wolff weiter, von dem ich wusste, dass er mit Hans Blumenberg korrespondierte. Der versah sie mit einer Anfrage an den Philosophen: „Bleibt noch die Frage nach dem Opfer: der Zecke. Ist sie inzwischen chloroformiert der subtilen Sammlung einverleibt worden?“ Der Briefschreiber fragte weiter, was es zu bedeuten gehabt hätte, wenn der zigfach im Ersten Weltkrieg Verwundete am Ende von einem Insekt gefällt worden wäre: „Dass wir in einer banalen Zeit leben, wo große Abgänge nicht mehr möglich sind?“


Hans Blumenberg, der mir nach Erscheinen meiner großen Bildbiografie 1988 einen langen Brief geschrieben hatte, in dem er vermerkte, ich hätte in Wort und Bild das „Grundmuster der Jünger-Welt“ erfasst, antwortete dem „erregten Zeitgenossen“, das sei eine Frage, die zwar hypothetisch sei, der sich aber nicht ausweichen lasse. Das Banale unserer Zeit hatte er ja längst am eigenen Leib erfahren. Allerdings, so Blumenberg weiter, stelle sich hier die Frage, ob Jüngers Replik („Von denen muss ich mich ja nicht gerade beerdigen lassen“) nicht ein ideales „letztes Wort“ ergeben hätte. Der aufmerksame Jünger-Leser wusste, dass der Autor von „In Stahlgewittern“ lebenslang letzte Worte gesammelt hatte – aus Neugier für die „Übergänge“. Auch dies natürlich ein hypothetischer Gedanke.


Ein letztes Wort hat es offenbar auch von Hans Blumenberg nicht gegeben, zumindest wurde es nicht überliefert. Der „erregte Zeitgenosse“ hätte es uns sicher übermittelt – zumal er engen Kontakt zum Sohn Tobias pflegt. Der hatte ihm aus dem Nachlass den Schreibtisch seines Vaters überlassen, sozusagen eine letzte Zuwendung des Philosophen. Uwe Wolff nennt den Eichentisch „Heiliges Holz“ und versäumt nicht, in seiner Danksagung des eigenen Vaters zu gedenken, der aus dem Tisch mühelos einen Bettrahmen oder eine Hundehütte gezimmert hätte. Der „alte Schlesier“ aber ist längst tot und die Frage, was dereinst aus dem heiligen Holz werden wird, selbst hypothetisch. Das hätte Hans Blumenberg gefallen. Das Hypothetische war sein Metier."

 

Dr. Heimo Schwilk. Denkrätsel des Philosophen. In: Die Tagespost vom 16. Juli 2020

 

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"Es handelt sich nicht um eine dokumentarisch abgestützte biographische Darstellung,

da Wolff zufolge viele entsprechende Dokumente,

so auch sein eigener Briefwechsel mit Blumenberg,

'von den Inhabern der Rechte noch unter Verschluss gehalten' würden (S. 130)."


Dr. Till Kinzel

 

Hier die vollständige Besprechung:

http://informationsmittel-fuer-bibliotheken.de/showfile.php?id=10385

 

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"Der Schreibtisch des Philosophen"

führt in die Siebziger Jahre und

ist die Fortsetzung meiner Jugenderinnerungen

an eine Kindheit in Münster: 

 

 

 

Mein Dank gilt zuerst Tobias, Miriam und Dadini Blumenberg.

 

Ich gedenke der Wegbegleiter, die uns bereits vorausgegangen sind: Lisa Dräger, Ferdinand Fellmann, Karl-Heinz Gerschmann, Ernst Jünger, Walter Kropp, Ulrich und Martin Thoemmes,

 

Meine „Erinnerungen an Hans Blumenberg“ führen in meine Geburtsstadt Münster zurück. Ich erzähle von einer Zeit des geistigen Erwachens vor beinahe fünfzig Jahren. Mich haben Lebenszeugnisse immer interessiert. Das gilt für die eigene Familie, die Lehrer und Wegbegleiter, aber auch für die Gestalt großer Menschen.

 

Es gibt sehr verschiedene Arten biografischen Schreibens. Mich reizt die archäologische Biografiearbeit, bei der ich mich in einem weitgehend noch unentdeckten Raum bewege. So habe ich es beispielsweise mit den Biografien von Anneliese Michel, Walter Nigg, Edzard Schaper oder Erwin Iserloh gehalten. Über das Leben von Hans Blumenberg besitzen wir bislang keine wesentlichen Zeugnisse derjenigen, die ihn erlebt haben. Viele biografische Dokumente - wie unser gemeinsamer Briefwechsel (https://www.dla-marbach.de/katalog/handschriften/) - werden von den Inhabern der Rechte noch unter Verschluss gehalten. Dafür gibt es Gründe.

 

Alles hat seine Zeit. Jetzt ist die Zeit des Erzählens. Hans Blumenberg teilte meine Freude am biografischen Zeugnis, wenn er die zahlreichen zeitgenössischen Berichte über Johann Wolfgang von Goethe, Sigmund Freud oder Rainer Maria Rilke mit Vergnügen las und in seinen Erzählungen anschaulich zu biografischen Schlüsselszenen verdichtete.

 

Meine Erinnerungen folgen dieser Tradition der Lebenszeugnisse. Erinnerung (memoria) ist eine Pflicht der Lebenden und ein Dienst an den Verstorbenen. Ohne sie gibt es keine Kultur.

 

Meine Erinnerungsarbeit ist beendet. Undine und ich gehen mit Tobit durch die Feldmark.

 

„Der Schreibtisch des Philosophen“, fragt Undine. „Was passiert mit ihm, wenn wir eines Tages nicht mehr sind?“

 

„Diese Geschichte wird ein anderer erzählen,“ antworte ich.